Todesopfer
rechter Gewalt
in Deutschland

Die Karte “Todesopfer rechter Gewalt” stellt Ort, Zeitraum und Name von Personen dar, die aufgrund rechtsmotivierter Gewalt gestorben sind. Die Brandanschläge von Mölln oder Lübeck etwa, die Morde des NSU oder das Attentat von Hanau – diese Fälle sind vielen noch ein Begriff. Nur wenige der Fälle sind heute noch groß bekannt. Die Bandbreite rechter Morde in Deutschland ist jedoch groß. Eine Auswahl zeigt, warum und wie die Täter Menschen ermordeten: Erschießung, Prügel mit tödlicher Folge, Messerstecherei im Gerichtssaal oder Quälen bis zum Tod sind nur einige Beispiele.

Die Schicksale einzelner Todesopfer sind im Buch „Kein Vergessen – Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach 1945“ von Thomas Billstein nachzulesen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung pflegt ebenfalls eine Datenbank mit den Fallbeschreibungen. Die Karte entstand im Abgleich dieser Quellen sowie einer Rechercheliste von Zeit Online und dem Tagesspiegel.

Zusätzlich gibt es noch etwa 50 Verdachtsfälle von Todesopfern durch rechte Gewalt, die hier nicht dargestellt werden. Hinweis: Die Quellen geben unterschiedliche Fallzahlen zu Todesopfern rechter Gewalt an. Das hängt mit der Gewichtung der Motivation und der konkreten Umstände zusammen.

Ausgewählte Schicksale

Die folgende Auswahl an Einzelschicksalen zeigt, wie unterschiedlich die Motive rechtsextremer Taten sind – und dass sie ganz unterschiedliche Menschen treffen können: Kinder ebenso wie Senioren, Familien ebenso wie Wohnungslose. Sie reichen von Antisemitismus und antiislamischem Rassismus über Fremdenfeindlichkeit oder politische Gegnerschaft bis hin zu Sozialdarwinismus. Diese Auswahl enthält außerdem Fälle aus drei Jahrzehnten: den 1990er-, 2000er- und 2010er-Jahren.

Wolfgang Auch (Schwedt, Brandenburg): Der gelernte Installateur Wolfgang Auch wohnt in Schwedt an der Oder. Auf einem Spielplatz bittet er am 16. September 1991 eine Gruppe Jugendlicher um eine Zigarette. Die Gruppe verspottet den alkoholisierten Auch wegen seines vermeintlichen Sprachfehlers und beginnt, ihn zu schubsen. Als der 28-jährige Auch fliehen möchte, schlägt die Gruppe auf ihn ein. Sie setzen Auch auf einen Stuhl, um ihm Fragen zu stellen: Auf die Frage, wie er Hitler finde, antwortet Auch: “schlecht”. Auf die Frage nach Honecker wiederum mit: “gut”. Weil das nicht den politischen Ansichten der Täter entspricht, prügelt die Gruppe erneut auf Auch ein und misshandelt ihn. Mitunter urinieren zwei der Jugendlichen auf ihr Opfer, ein anderer schlägt mit dem Kolben einer Gaspistole auf Auchs Kopf. Auch stirbt 6 Tage später an Hirnverletzungen. Die Person, die den vermutlich tödlichen Tritt gegen den Kopf ausgeführt hat, ist mit 13 Jahren noch nicht strafmündig. Die acht Angeklagten bekommen Bewährungsstrafen zwischen acht Monaten und zwei Jahren.


Karl-Hans Rohn (Wuppertal, Nordrhein-Westfalen): Der 53-jährige gelernte Metzger Karl-Hans Rohn besucht am 13. November 1992 die Kneipe Laternchen. Zwei Mitglieder der Nationalistischen Front sind ebenfalls in der Kneipe. Rohn gibt sich an diesem Abend als Jude aus, was aber nicht der Wahrheit entspricht. Er wird von den Neonazis antisemitisch beschimpft und erniedrigt. Der Kneipenwirt stachelt die beiden Haupttäter zusätzlich zu weiteren Anfeindungen und Gewalttaten an. Die beiden Nazis verprügeln Rohn. Anschließend übergießen sie ihr Opfer mit Schnaps. Zu den Worten “Juden müssen brennen!” zünden sie Rohn an. Es entwickelt sich starker Rauch. Der Wirt macht sich Sorgen um sein Lokal, woraufhin er und die beiden Nazis den brennenden Rohn löschen. Die drei entsorgen die Leiche, indem sie sie an einer Autobahn aus dem Wagen werfen. Die beiden Haupttäter bekommen aufgrund starker Trunkenheit lediglich 14 und acht Jahre Jugendhaft. Der Kneipenwirt wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.


Ali Bayram (Darmstadt, Hessen): Bereits Monate bevor der fünffache Vater Ali Bayram von seinem Nachbarn erschossen wird, habe der Täter Bayrams Ehefrau zufolge die Drohung ausgesprochen: "Ihr Scheiß Türken, geht in euer Land zurück. Ich bring' euch noch um". Der 29-jährige Täter sagt vor Gericht, dass er sich am Abend des 18. Februars 1994 von dem Lärm seiner türkischen Nachbarn gestört fühlte. Er meint in Untersuchungshaft, "dass sie [die türkischen Nachbarn] sich nicht alles erlauben können". An diesem Abend klingelt der Täter bei Familie Bayram. Als Bayram seine Wohnungstür erreicht, erschießt der Täter ihn – vor den Augen seiner 12-jährigen Tochter. Der Täter bekommt neun Jahre Haft. Er verneint ein rassistisches Motiv, welches offiziell nicht anerkannt wird.


Werner Weickum (Eppingen, Baden-Württemberg): Werner Weickum ist in der Nacht vom 19. Juli 1996 auf dem Weg zum Bahnhof, um stark alkoholisiert von einem Kneipenabend nach Hause zu fahren. Ein junger Mann aus einer Nazi-Gruppe, die bereits mehrfach mit Gewalttaten aufgefallen war, sprach Weickum auf dem Bahnsteig an. Er bietet Weickum "schnellen Sex" mit einer jugendlichen Begleitung aus der Gruppe an. Weickum und die Jugendliche gehen Arm in Arm den Bahnsteig entlang. Ein weiteres Mitglied der Gruppe nähert sich Weickum und schlägt ihm ins Gesicht. Weickum geht zu Boden und die Täterinnen und Täter schlagen und treten auf ihn ein. Sie rauben Weickums EC-Karte und erpressen ihn um seine PIN. Mit der Angabe einer falschen PIN wird Weickum die Gruppe zunächst los. Sie bemerkt aber diese Falschinformation. Sie kehrt zum Bahnsteig zurück und prügeln wieder auf Weickum ein, der ihnen dieses mal die korrekte PIN mitteilt. Dennoch: Die Gruppe schlägt und tritt ihr Opfer tot. Zwei Gruppenmitglieder bekommen lebenslänglich. Weitere acht Angeklagte erhalten Jugendstrafen von bis zu achteinhalb Jahren.


Nuno Lourenço (Leipzig, Sachsen): Der Zimmermann Nuno Lourenço wird an seinem 49. Geburstag von einer rechtsextremen Gruppe in einer Telefonzelle angegriffen. Weil am 4. Juli 1998 Deutschland das Viertelfinale der Fußball-WM gegen Kroatien verloren hatte, machten sich die acht Männer auf eine Hetzjagd gegen Migranten. Einer der vier anwesenden Kollegen Lourenços sagt aus, sie seien mit einer Eisenkette auf sie losgegangen. Lourenço erwischen sie damit am Hals und ziehen ihn zu Boden. Anschließend treten sie auf Lourenço ein und verletzen ihn schwer. Mit inneren Blutungen wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Haupttäter ist der 21-jährige Andreas Sch. aus Böhlen, der gerade eine Ausbildung zum Elektriker absolviert. Er habe wohl nach der Tat gesagt: "Hätte ich ein Messer gehabt, hätte ich dieses Schwein abgestochen". Er wird zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Nebentäter erhalten Bewährungsstrafen. Lourenço fällt es fortan schwer, sich uneingeschränkt zu bewegen. Am 29. Dezember 1998 stirbt Lourenço an den Folgen des Angriffs – es ist sein 25. Hochzeitstag.


Marinus Schöberl (Potzlow, Brandenburg): Am Abend des 12. Juli 2002 lernen drei junge Täter bei einem Treffen mit einer befreundeten Familie ihr späteres Opfer Marinus Schöberl kennen. Der 16-jährige ordnet sich der Hip-Hop-Szene zu, trägt blondierte Haare und weite Hosen. Schöberl wird von den Tätern als minderwertig betrachtet, weil er stottert. Im Anschluss an das Treffen mit der Familie ziehen die Nazis weiter und nehmen Schöberl mit. Sie brechen in ein Nachbarhaus ein, um Vorräte zu plündern. Dort beleidigen die Täter Schöberl, verpassen ihm erste Schläge und urinieren auf ihn. Zusätzlich flößen sie ihm Alkohol ein und drängen ihn dazu, zuzugeben, dass er ein Jude sei. In den frühen Morgenstunden verschleppen die Täter ihr Opfer aus unbekannten Gründen zu einer ehemaligen Schweinemastanlage. Es folgen weitere Prügel, Demütigung und Qual für Schöberl. Dort fordern die Nazis Schöberl auf, in einen alten Schweinetrog zu beißen, woraufhin ihm ein Täter in den Nacken tritt und ihn tödlich verletzt. Das Vorbild dieser Tat: eine Szene aus dem Spielfilm American History X. Aus Angst, dass das Opfer überleben und die Tat auffliegen könnte, werfen die Täter eine Betonplatte auf Schöberls Kopf. Anschließend schmeißen sie den leblosen Schöberl in eine Jauchegrube. Erst vier Monate später, im November 2002, wird die Leiche gefunden. Gegen einen der Täter wird drei Jahre, gegen den Haupttäter achteinhalb Jahre Jugendstrafe verhängt. In Verbindung mit weiteren rassistisch motivierten Delikten erhält der dritte Täter 15 Jahre Freiheitsstrafe.


Marwa El-Sherbini (Dresden, Sachsen): Am 1. Juli 2009 tötet Alex W. Marwa El-Sherbini bei einer Berufungsverhandlung mit 18 Messerstichen. Zum Hintergrund: Etwa ein Jahr zuvor ging El-Sherbini mit ihrem Sohn auf einen Spielplatz und traf auf den 28-jährigen Alex W. Er saß auf der Schaukel, auf der der Sohn El-Sherbinis auch spielen wollte. Als El-Sherbini Alex W. bat, die Schaukel freizugeben, beleidigte er sie rassistisch aufgrund ihres Kopftuches und bedrohte ihren Sohn. Passantinnen wurden auf die Szene aufmerksam und riefen die Polizei zur Hilfe, welche Mutter und Kind nach Hause brachten. Gegen Alex W. wurde ein Strafbefehl mit 30 Tagessätzen zu je 11 Euro erlassen, gegen den er Einspruch einlegte. Daraufhin erfolgt eine Hauptverhandlung, in der nicht nur die Anzahl der Tagessätze erhöht wird, sondern auch weitere rassistische Hasstiraden von Alex W. ausgehen. Die Staatsanwaltschaft legt Berufung ein und verhängt gegen Alex W. eine Geldstrafe in Höhe von 780 Euro in 60 Tagessätzen. Als El-Sherbini mit ihrem Sohn den Gerichtssaal am 1. Juli verlassen möchte, stürzt Alex W. gezielt auf sie zu und sticht mehrmals auf sie ein. Nachdem El-Sherbini ihren Sohn in Sicherheit bringen kann, sticht Alex W. erneut auf ihren Rücken ein. El-Sherbinis Ehemann versucht, sie zu schützen und ringt mit dem Täter um das Messer. Die Polizei gibt einen Schuss ab, der den Oberschenkel des Ehemanns trifft. Marwa El-Sherbini verstirbt noch im Gerichtssaal. Ihr Ehemann überlebt trotz 16 Messerstichen und Schussverletzung. Mit besonderer Schwere der Schuld wird Alex W. zu lebenslanger Haft verurteilt.


Andrea B. (Hannover, Niedersachsen): Der Rapper Alexander K. ist in der rechtsextremen Szene bekannt dafür, Songs eines NPD-Mitglieds und Sängers zu covern. Er bezeichnet den norwegischen rechtsterroristischen Massenmörder Anders Breivik als einen “Star für Oslo”. Alexander K. lockt die 44-jährige Andrea B. am 31. Oktober 2012 in seine Wohnung. Die Gelegenheits-Sexarbeiterin Andrea B. macht sich in der Wohnung über die rechtsextreme Gesinnung und die vielen Hitler-Bücher des 25-jährigen Täters lustig. Es kommt zu einem Streit. In Wut sticht der Täter mit einer Machete auf Andrea B. ein. Danach zerstückelt er sein Opfer. Um die Leichenteile zu entsorgen, zwingt der Täter seine Freundin zur Mithilfe. Alexander K. wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Die Schicksale weiterer Personen auf der A1-Karte sind in den folgenden Quellen nachzulesen: